Aus der Tiefe des Raums ...

stan lafleur - die welt auf dem fusz

von Frank Becker

Aus der Tiefe des Raums ...

Der Fußballwahn ist eine Krank-heit, aber selten, Gott sei Dank...“ beginnt Joachim Ringelnatz´ Beschreibung des Phänomens, das er atemberaubend in seinen „Turngedichten“ abgehandelt hat. Der aus tiefer Seele sich zum Fußballhimmel emporschraubende Schrei Herbert Zimmermanns beim WM-Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Bern 1954 ist auch 60 Jahre später noch in jedermanns Ohr, und der deutsche Fußballsommer 2006 hat in der Euphorie vermeintlicher und längst verhallter Verbrüderung für den Lidschlag eines Augenblicks die Illusion vermittelt, Fußball sei der Schlüssel zur Völkerverständigung. Das setzt sich heftig schwarz-rot-gold-beflaggt im brasilianischen WM-Sommer 2014 fort. Auch der Kohlenpott-Lyriker Fritz Eckenga - bekennender BVB-Anhänger - hat natürlich den Fußball zur Chefsache erklärt und in seinem Buch „Prima ist der Klimawandel auch für den Gemüsehandel“ ein ordentliches Kapitelchen dem Ballsport gewidmet. Nun hat auch die Fußball-Kunst der Damen anläßlich der WM 2023 in Australien und Neuseeland Euphorie ausgelöst und man schaut dem eleganten und schnellen Spiel des eindeutig schöneren Geschlechts mit Freude zu.

Doch da ist einer, der mehr tut als alle anderen für den Fußball und seine Helden, einer der tiefer in die Materie eingedrungen und mit dem Wissen um die innersten Vorgänge wieder aufgetaucht ist. Dieses Wissen formt er zu Gedichten der besonderen Art, zu einer Fußball-Lyrik, die es so noch nicht gegeben hat und die seinen Namen - wenn auch nicht in der Nord- oder Südkurve, auf den Stadiontribünen und in den Spieler-Kabinen - nachhaltiger mit dem Spiel der 22 Männer auf grünem Rasen verbindet, als mancher Sport-Reporter das vermöchte. Die Rede ist von Stan Lafleur und seinem Lyrik-Band „die welt auf dem fusz“.

Seine Gedichte besingen Ente Lippens, Jürgen Klinsmann und Matthias Sammer, den VfL Osnabrück, SV Frömmersbach 1948 und Dynamo Kiew, den Dribbler, den Elfmeter und den Torwart, der diesem gefaßt entgegenblickt. Stan Lafleur nennt Namen und Situationen, Orte und Vereine - und man spürt aus jedem Vers, jeder Zeile, daß er weiß, wovon er schreibt. Nehmen wir mal Bernd Schuster, einst hochbezahlter Trainer bei Real Madrid, danach beim FC Malaga, als Beispiel:
bernd schuster
 
genau wie mein nachbar, der miszliebig
seinen pinscher durchn park zerrt
trabte er durch die konspirativen
wohngegenden des defensiven mittelfelds
 
engel mit schnauzbart & so nem hals
auf das uninspirierte gestochere
seiner zurueckgebliebenen kameraden
den flegeln, die den lauf seiner paesse
 
nicht zu lesen vermochten, bis es ihm
reichte: er das leder zu sich herbefahl
aus sechzig metern abzog, flugschau
fuer fortgeschrittene, & noch bevor
 
der ball im netz einschlug zufrieden
auf den rasen rotzte, den wir nachts
aus dem stadion stahlen, ihn dem park
einzupflanzen, den mein nachbar so liebt
 
Na, was sagen sie? Lafleur, der blumenreiche, beherrscht sein lyrisches Handwerk nicht weniger als der nationale (FC Augsburg, 1. FC Köln,  Bayer Leverkusen) und internationale (FC Barcelona, Real Madrid, Atletico Madrid u.a.) Spieler und Trainer das seine mit dem Ball. Lafleur bringt das Transzendentale dieses Publikumssports ans Licht, seine Beschreibung eines Laufs von Ronaldinho durch die gestaffelten gegnerischen Reihen ist reine Poesie, einen Blick auf Günter Netzer und dessen Tiefe des Raums, wie ihn Lafleur hat, kann kein anderer haben.
 
Was geht in einem Spieler auf dem Feld der Ehre vor? Wie ist die Stimmung bei einem Spiel der Kreisliga B? Welches Schicksal kann die Stars des runden Leders ereilen (George Best ist so ein Beispiel)? Stan Lafleur (hat er sich nach der Legende Libuda genannt?)  weiß es und läßt es mitempfinden. Seine Lyrik hat Humor, viel Humor sogar, schenkt einen um den anderen Lacher, nimmt jedoch zur gleichen Zeit unauffällig mit in die verborgene Tiefe von Gefühlen und läßt staunen: so ist das also. Jedes Gedicht ein Genuß, jede Erkenntnis ein Gewinn - und vice versa.
 
Fußballer, Leser, Fans, ihr Stadionsprecher und Moderatoren in Rundfunk und Fernsehen, hört mich an: Lest Stan Lafleur und ihr wißt endlich, worüber ihr an Biertischen, in Kabinen und über Lautsprecher redet: fuszball.
Mein Lyrik-Tip - der beste Gedichband zum Thema Fußball - auch wenn die Namen der Helden zum Teil mittlerweile andere sind - und einer der besten der letzten Jahre überhaupt, hervorragend von Sandra Fehr ediert und nebst einem spielerischen Intermezzo in der Halbzeitpause gesetzt: stan lafleur „die welt auf dem fusz“.

stan lafleur - die welt auf dem fusz

90 Fußballgedichte mit Halbzeitpause
2006 Koall Verlag, Berlin, 143 Seiten, Broschur
(Das Buch ist vergriffen, aber eventuell noch antiquarisch zu bekommen.)